Helga Blume-Matzke

Lieb sein oder in Liebe sein?

Freitag, 30. August 2013

Viele von Euch bekommen ja immer mehr die Botschaft, dass eine der Möglichkeiten, ein besseres Leben zu haben, darin besteht, mehr in die Liebe zu gehen und aus dem Herzen zu leben. An sich ja völlig richtig!

Fragt man die schlauen Leute, die die Liebesfahne vor sich her tragen, wie man das denn konkret umsetzen soll, kriegt man oft so eine Antwort wie von dem völlig vergeistigten Engel beim Engel Aloisius – kurzum, es kommt so eine Art Wischiwaschi-Heile-Welt-Antwort, die einen letztlich ratloser als zuvor hinterläßt.

Da heißt es dann: „Du musst halt nur immer auf alles liebevoll reagieren.“ Also die Sache mit der anderen Wange, die man dem anderen hinhalten soll, habe ich nie so richtig verstanden! Das hieße für mich, ich müsste sozusagen permanent mit einem seligen Verständnis für die Schwächen und Ausraster meiner Mitmenschen umherschweben und mich niemals wehren, sondern mit einem heiligmäßigen Lächeln alles hinnehmen? Also immer schön lieb sein? Damit dann die Erleuchtung, oder was auch immer das sein soll, schneller und ganz sicher kommt?

Sorry, da knirscht es bei mir!

Erstens gibt es eine Riesenbandbreite von Dingen, die Menschen unter dem Begriff Liebe verstehen – angefangen von Sex auf dem Küchentisch, über Kontroll- und Treueschwüre, bis hin zur völligen Aufgabe der eigenen Persönlichkeit für einen anderen „geliebten“ Menschen… Und alles dazwischen. Und diese Liebe ist meist alles andere als bedingungslos, sondern drückt sich auf vielfältige Art und Weise aus.
In letzter Konsequenz ist Liebe ein Zustand, verbunden mit einer sehr unspektakulären inneren Stille, einer inneren weisen Heiterkeit, die nicht abhängig ist von dem äußeren Getöse der Dramen und Ängste und Kontrollen und nicht abhängig von einem „liebevollen“ Verhalten.

Ganz im Gegenteil! Wenn wir es erlauben, dass jeder Hansel uns auf der Nase herum tanzen kann, weil wir glauben, dass es Liebe wäre, wenn wir uns das gefallen lassen würden, sind wir mächtig auf dem Holzweg! Letztlich geben wir dadurch die Liebe zu uns selbst auf, die sich in einer angemessenen Fürsorge und Achtsamkeit für unsere Bedürfnisse äußert! (Damit machen wir uns selbst zum Opfer und den anderen zum Täter, ohne uns dessen wirklich bewusst zu sein, dass wir damit selbst der Täter sind!)

Hinter diesen Glaubenssätzen sitzen natürlich wieder die unbewussten „Vernichtungsbilder“ von Situationen, in denen wir uns weggestoßen, abgewiesen, zurückgewiesen, nicht zugehörig gefühlt haben, und im Rahmen der Kompensation dieser unerwünschten Gefühle strengen wir uns ganz furchtbar an, um nur ja liebenswert zu sein – wir sind brav und lieb – bis uns auch das um die Ohren fliegt!
Gottseidank!

Denn was in Wahrheit passiert, ist, dass wir uns nach äußeren Richtlinien – Vor-Stellungen, Erwartungen und Glaubenssätzen – verhalten und dadurch immer weiter weg kommen von unserer eigenen Mitte und unserer eigenen Kraft. Wir sind letztlich nicht mehr ehrlich zu uns selbst und das macht uns müde und krank.

Je mehr Angst wir haben, verlassen und zurückgewiesen zu werden, desto „lieber“ müssen wir sein und desto mehr underdrücken wir unsere natürliche Kraft der Abwehr und der Fähigkeit, Grenzen zu setzen. Bis der ganze Unterdrückungskessel so viel Druck aufgebaut hat, dass er explodiert und uns um die Ohren fliegt! Diese Explosion befürchtend, knocken wir uns beim geringsten Anzeichen von unangenehmen und unerwünschten Gefühlen von Aufsässigkeit, Widerspruch, „Bis hierhin und nicht weiter“-Gedanken und bei den geringsten Anzeichen von WUT mit Psychopharmaka, Alkohol und anderen legalen Drogen aus. Damit ja alles beim Gewohnten bleibt! Angst vor Veränderungen hatten wir ja im letzten Newsletter!

So wird das ganze „Immer schön auf alles liebevoll reagieren / lieb sein!“-Konstrukt völlig missverstanden!

Wir haben immer wieder Teilnehmer beiderlei Geschlechts, die große Probleme damit haben, ihre negativen Gefühle zuzulassen. Besonders mit der Wut hapert es oft gewaltig! Die Ursache dafür liegt in dem Missverständnis, dass nur gesellschaftlich und sozial akzeptierte Gefühlsäußerungen erlaubt sind, dass es ein absolutes No-Go ist, den Chef anzubrüllen, auch wenn er sich wie ein A… im Wald benimmt und dass negative Gefühle sofort „beseitigt“ und „weggeklopft“ werden müssen, damit weiter das Bild nach außen stimmt von einem „gesellschaftsfähigen“ und „sozialisierten“ Menschen. Den Preis für die verleugneten Gefühle zahlen wir alle mit, denn sie sind voller Energie und einmal in Gang gesetzt, müssen sie sich ausdrücken und wenn das nach Außen nicht geht, dann geht der Schuss nach innen los.

In uns allen ist dieses innere Kind, das ganz spontan die ganze Bandbreite seiner Gefühle ausdrücken konnte! Was macht das spontane Lächeln eines Kindes so anrührend? Es ist echt und ehrlich und ist voller Akzeptanz und Unschuld! Was rührt uns im Weinen eines Kindes an? Dass es echt ist und einfach da ist – so sehr es uns um Kontrolle und Contenance bemühten Erwachsenen auf den Keks geht! Denn es erinnert uns an die eigene Angst in uns drin, an die eigenen Tränen der Kindheit, an die alten Schmerzen der Momente, wo wir uns verlassen, zurückgewiesen, unverstanden und überwältigt gefühlt haben.

Das macht unsere Intensiv Entfaltungen so wirkungsvoll: dass diese inneren Kinder gesehen werden und da sein dürfen genauso wie sie sind: mit all ihren Ängsten, mit all den Tränen und Unsicherheiten, mit all dem Bedürfnis, einfach mal nur in den Arm genommen und angenommen zu werden, genauso wie sie sind! Und dass sie endlich wieder in ihren spielerischen Modus von Leichtigkeit und Vertrauen gehen können, wenn diese inneren Dunkelheiten ihre Schrecken verloren haben. Und dass die Stimme unserer Seele wieder hörbar wird!

Das Lieb sein um jeden Preis kostet definitiv zu viel! Es kostet uns unsere Souveränität und unsere Lebenskraft. Wir halten uns damit in einer Zone von Abhängigkeit, die uns automatisch auch in einer Unsicherheit hält: Wie wirke ich auf andere? Was könnten die anderen über mich denken? Was ist, wenn sie mich ablehnen und kritisieren? Was ist, wenn sie merken, was ich wirklich denke und fühle? Das alles ist sehr gefährlich und daher werden all die negativen Gefühle unterdrückt und in die Besenkammer gesperrt – mit dem Inneren Kind zusammen, was so unartig war, die Wahrheit zu zeigen…

Nein, lieber lassen wir Frauen uns zu Sklavinnen von abstrusen Idealvorstellungen machen und lassen die Männer sich zu Hampelmännern unterm Pantoffel und linkshirnigen Gefühlszombies degradieren! Wir spielen lieber praktizierendes Opfer und machen uns und andere dadurch zu Tätern, als dass wir uns erlauben, unsere Gefühle wirklich wahrzunehmen und fürsorglich und liebevoll zu uns selbst zu sein! Wir zerstören uns lieber selbst, als unsere Schwäche und Dunkelheiten liebevoll anzunehmen und durch diese liebevolle, urteilsfreie, fürsorgliche Annahme zu heilen!

Letztlich steckt hinter dem „Lieb sein müssen“ eine Lieblosigkeit uns selbst gegenüber. Denn das Programm „Lieb sein müssen“ wird von eine Vielzahl von Ängsten in Gang gehalten.
Angst vor Trennung, Verlust, Abweisung, Zurückweisung, Lieblosigkeit, nicht angenommen zu werden, Angst vor Bestrafung, Aggression, Abwertung, Demütigung, Hohn und Spott, Angst vor Gewalttätigkeit, Missbrauch, Verlust, Trennung, Angst vor Schmerz auf allen Ebenen.
Daraus resultieren dann die Muster der Selbstzerstörung, der Selbstbestrafung, der Autoaggression, des Hungers, des Mangels – mit all ihren Manifestationen im Außen – in unseren Körpern, in unserer Umwelt und sie manifestieren sich im Umgang mit unserer Nahrung, mit der Erde, mit den Menschen, mit den Tieren und Pflanzen und mit uns selbst.

Lieb sein und in Liebe sein sind zwei verschiedene Dinge. Lieb sein leugnet angstvoll die eigenen Dunkelheiten und glaubt, getrennt von allem zu sein.
In Liebe sein nimmt die eigenen Dunkelheiten an, ohne sie zu bewerten oder zu leugnen, und nimmt damit sich selbst an!

Lieb sein wagt es nicht, ehrlich zu sein. Es hat Ausflüchte und schlängelt sich um klare Aussagen herum. Es versteckt sich hinter Konventionen und sagt: „Man tut das nicht.“ Es übernimmt keine Verantwortung für sich selbst, sondern zuviel Verantwortung für andere, um Anerkennung zu bekommen, eine Daseinsberechtigung zu haben und um Schmerz zu entgehen. Es kritisiert sich selbst und leugnet die eigene Kraft und die eigene Dunkelheit. Es ist unnachsichtig mit sich selbst und vernachlässigt dabei die eigenen Bedürfnisse. Und wirft sich selbst und anderen gerne diese Nichterfüllung und den Mangel vor!

In Liebe sein wagt es, ehrlich zu sein. Es sagt offen „Nein“ und „Stopp“, es setzt klare Grenzen, es ist ehrlich mit ALLEN seinen Gefühlen. Es übernimmt die Verantwortung dafür und nimmt sie und damit sich selbst mit Güte und Fürsorglichkeit an. Es erkennt in den anderen die Spiegelung seiner selbst und ist liebevoll und klar zu anderen, ohne „lieb sein“ zu müssen. Es fühlt sich verbunden mit allem was ist. Es sieht die eigenen Schwächen, ohne sie zu werten. Sie ist nachsichtig, ohne nachlässig zu sein und es einfach tatenlos hinzunehmen.
Wir können in Liebe sein auf vielerlei Arten üben. Vor allem in Bezug auf Selbstkritik und Selbstabwertung. Meist ist sie verbunden mit Vorwürfen und Kritik an andere – leicht zu sehen im Äußeren, wenn wir auf andere schimpfen und über sie herziehen oder uns über sie lustig machen. Wir müssen nicht mit dem übereinstimmen, was andere tun! Wir müssen keine geduldigen, willenlose und rückgratlose Schafe sein, die sich treiben lassen, wohin die äußere Diktatur der Schuldzuweisung und Zerstörung auf vielerlei Ebenen sie treibt.
Wir müssen nur aufhören, gegen uns selbst zu kämpfen, uns selbst abzuwerten, gegen andere zu kämpfen, gegen Feindliches, Bedrohliches zu kämpfen, seien es (laborgezüchtete) Viren, Menschen anderer Herkunft und anderer Glaubensmuster, Missstände etc. Kämpfen bringt nichts, wie man überall sieht. Kämpfen verstärkt jedes Übel nur.

Es aber mit Klarheit und innerer Kraft als ein Symptom der eigenen inneren Dis-Harmonie zu sehen und es annehmen und es dann ändern, indem Licht und Tatkraft dort hinein gebracht wird, das ist der Weg zur Heilung im Innen und im Außen!
In Liebe zu sein, bedeutet die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und sie sich einzugestehen. In Ehrlichkeit zu kommen mit seinen eigenen Gefühlen von Wut und Trauer und Scham und Schuld, all das, was wir gerne verdrängen und nicht spüren möchten. Sie wahrzunehmen, sie anzuschauen, sie zu er-lösen. Damit ändert sich auch schlagartig die Reaktion der Umwelt!

Dazu ein kleines Beispiel aus einem unserer EFT Basiskurse: eine Dame kam, die sich über die Rücksichtsloigkeit ihres Chefs beklagte. Sie klopfte während des Kurses die ganze Bandbreite der Aspekte, die damit verbunden waren, und wurde immer klarer in ihrem Bedürfnis nach respektvoller Behandlung. Einige Tage nach dem Kurs schrieb sie uns, dass ihr Chef auf einmal ganz höflich zu ihr geworden ist! 😉

In Liebe sein ist immer eine bewusste Entscheidung. Daher ist es sehr hilfreich, sich den Tag über immer wieder daran zu erinnern:
"Ich entscheide mich dafür, in der Liebe zu sein!"
Ich male mir dazu gerne ein kleines Herz oder einen kleinen Stern auf die Daumennägel, und immer wenn ich das Herz oder den Stern sehe, halte ich kurz inne, fühle in mein Herz und sage diesen Satz mit soviel Gefühl wie möglich. "Ich entscheide mich dafür, in der Liebe zu sein!"
Manchmal passiert einfach nichts bzw. spüre ich keine Reaktion. Meistens kommt eine Art sanfte Reaktion, wie eine Art innerer Bestätigung. Manchmal ist es wie eine klare Welle von Freude und Bestätigung.

Und ab und an spüre ich auch eine Form von Abwehr oder Widerwillen. Dann weiß ich: Aha, da ist noch ein unerlöster Teil in mir, der besonders viel Liebe braucht! Dahinter ist dann oft noch ein Rest der uralten Angst, ich mache mich lächerlich, wenn ich all diese Dinge hier schreibe, wenn ich das ausdrücke, wie es sich gerade für mich anfühlt, die alte Angst vor Spott und Ablehnung und dahinter die Angst vor Schmerz und Folter – die Reste der grauenvollen Dinge, die in unserem Zellgedächtnis und im kollektiven Gedächtnis auf Erlösung und Heilung warten!
Dann schaue ich, wo diese dunkle Wolke in mir verankert ist und klopfe ihr sozusagen liebevoll auf die Schultern und sage ihr damit: „Okay, ich sehe Dich, Du kannst rauskommen, die Gefahr ist vorbei!“ Ich bleibe mit diesen Bildern, Emotionen, körperlichen Reaktionen in Verbindung und nehme sie wahr – ich nehme sie an – und dann löst es sich durch das Klopfen und meine Haltung dazu Stück für Stück auf.
Manchmal klappt das supergut, und manchmal muss ich energisch dran bleiben, und manchmal hole ich mir Hilfe dazu, je nachdem, was da hoch kommt. DAS ist in der Liebe sein! Und das hat überhaupt nichts mit Hosiannah und rosa Sauce zu tun! 😉

Gabriele Rother (www.eft-akademie.info)

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